Weiterentwicklung der Mehrwertsteuer in der digitalisierten und globalisierten Wirtschaft

Nachstehender Artikel wurde uns zur Verfügung gestellt von der ESTV. Der HANDELSVERBAND.swiss teilt die Meinung der ESTV in Bezug auf die Notwendigkeit der Plattformbesteuerung:

Seit dem 1. Januar 2019 müssen sich die im Online-Versandhandel tätigen Unternehmen, die Waren aus dem Ausland ins Zollinland liefern, bei der MWST anmelden, sobald sie einen Jahresumsatz auf „Kleinsendungen“ von mindestens 100’000 Franken erzielen. Als „Kleinsendungen“ gelten Waren, die bei ihrer Einfuhr von der Mehrwertsteuer befreit sind, weil deren Betrag 5 Franken nicht übersteigt.

Das Ziel dieser besonderen Versandhandelsregelung war es, die Gleichbehandlung der in- und ausländischen Unternehmen in Bezug auf die MWST anzustreben und die Steuerlücke zu schliessen, die bisher aus der steuerbefreiten Einfuhr resultierte. Allerdings hat sich gezeigt, dass die Wirkung dieser Massnahme sehr begrenzt ist, weil sich zahlreiche Unternehmen, die diese Waren liefern, nicht im MWST-Register eintragen lassen, obwohl sie die Voraussetzung für die Unterstellung unter die Mehrwertsteuerpflicht in der Schweiz erfüllen. Ein Teil dieser Unternehmen erreicht zwar die Umsatzgrenze von 100 000 Franken nicht; dennoch haben sich seit dem Inkrafttreten dieser Regelung lediglich 213 Unternehmen bei der ESTV eingetragen (Stand Ende April 2020). Weiterhin werden also in der Schweiz bestellte und dorthin gelieferte Waren zu Unrecht nicht besteuert. Das belastet die Bundeskasse und hat negative Auswirkungen auf Schweizer Unternehmen, die ähnliche Produkte anbieten, die Mehrwertsteuer jedoch nicht umgehen können.

Der aktuelle Boom des Online-Handels macht es heute notwendig, neue und für die Erhebung der MWST besser geeignete Modelle zu finden. Die Bundesverwaltung hat sich mit möglichen Ansätzen für eine effizientere Erhebung der MWST befasst. Sie tat dies einerseits im Rahmen der Teilnahme der Schweiz an der Arbeitsgruppe Nr. 9 der OECD über die Konsumsteuern und andererseits, indem sie der Annahme der Motion Vonlanthen 18.3540 durch die eidgenössischen Räte Folge leistete. Die Motion verlangt, die Online-Plattformen der Mehrwertsteuerpflicht zu unterstellen (nachfolgend verwenden wir den Begriff «Plattform» unterschiedslos sowohl für die digitale Plattform im technischen Sinne wie für die steuerpflichtige Person, d. h. den Betreiber der Plattform).

Das Ergebnis dieser Arbeiten ist in den Gesetzesentwurf eingeflossen, der sich nun in der Vernehmlassung befindet (Link). Im Onlinehandel werden neu die digitalen Plattformen und nicht die auf diesen Plattformen tätigen Verkäufer als Lieferanten der Waren gelten, deren Verkauf sie ermöglicht haben. Anders ausgedrückt werden es in Zukunft die Plattformen sein, die auf diesen Transaktionen die MWST deklarieren und bezahlen müssen. Die (in- und ausländischen) Verkäufer, die auf diesen Plattformen tätig sind, können ihrerseits ihre dort getätigten Verkäufe von der MWST befreien lassen, sofern die Plattform, die den Geschäftsabschluss ermöglicht hat, im MWST-Register eingetragen ist.

Die digitalen Plattformen für den Entrichtungsprozess der MWST verantwortlich zu machen, wird dessen Wirksamkeit erhöhen, in Anbetracht der wichtigen Rolle der Plattformen bei der Bestellung und der Lieferung der online verkauften Waren (z. B. mit der Einführung eines vereinfachten Wareneinfuhrverfahrens). Zudem wird der Arbeitsaufwand in der Wirtschaft und der Bundesverwaltung sinken, wenn anstelle der Versandhandels-Unternehmen die Plattformen als Steuerpflichtige registriert sind, weil die Plattformen einerseits weniger zahlreich und andererseits besser identifizierbar sind. Aus diesem Grund haben manche Staaten bereits Massnahmen zum Einbezug der digitalen Plattformen in den Entrichtungsprozess der MWST auf Onlineverkäufen getroffen, mit positiven Auswirkungen auf die Zahl der registrierten Steuerpflichtigen. Um die wirksame Anwendung des Gesetzes sicherzustellen, ist ausserdem vorgesehen, dass die ESTV administrative Massnahmen gegen ausländische Versandhandelsplattformen oder –unternehmen verfügen kann, die ihren Eintrag im MWST-Register unterlassen haben oder ihren Abrechnungs- und Zahlungspflichten nicht nachgekommen sind. Diese administrativen Massnahmen umfassen insbesondere ein Einfuhrverbot für Inlandlieferungen und im Extremfall die Vernichtung der Pakete.

Bestehende Lücken bei der Erhebung der MWST auf Waren, die ohne Erhebung der Einfuhrsteuer importiert werden, lassen sich somit zumindest teilweise schliessen. Zudem werden alle in diesem Bereich tätigen Unternehmen so weit wie möglich gleichgestellt.

Autor: Anick Baumann, Ökonomin, MWST – Abteilung Recht, Eidgenössische Steuerverwaltung

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