Der Onlinehandel ist an allem schuld!?

Vor lauter Corona ist in den letzten Tagen ein Entscheid im Ständerat mit Tragweite für Gewerbler und die KEP Branche etwas untergegangen: Der Ständerat hat einstimmig der Motion Wicki «Gleich lange Spiesse im Strassengüterverkehr» zugestimmt. Inhalt: Neu sollen auch Lieferwagen < 3.5 Tonnen der LSVA unterstellt werden. Lieferwagen, die Material oder Ausrüstung zur Berufsausübung transportieren, sind von der Kostentragung auszunehmen.

Der Onlinehandel soll zahlen

Über den Inhalt des Antrages lässt sich eigentlich auf den ersten Blick nicht streiten: Alle Nutzer sollen zu den Strassenverkehrskosten etwas beisteuern. Auch Lieferwagen.
Mit der Begründung der Motion wird aber klar: der Onlinehandel ist aktuell an allem Schuld! «Seit 2000 hat die Fahrleistung von Lieferwagen um 53 Prozent zugenommen, die Transportleistung hat sich aber nur um 14 Prozent gesteigert. Die Zunahme ist insbesondere auf das enorme Wachstum des Online-Handels zurückzuführen. Vor diesem Hintergrund müssen gleich lange Spiesse geschaffen werden. Auch der Strassengüterverkehr mit Lieferwagen, der durch die Fahrten im Zusammenhang mit e-commerce weiterhin exponentiell wachsen wird, soll für die von ihm verursachten externen Kosten aufkommen, soweit er nicht den Transport von Material oder Ausrüstung zur Berufsausübung betrifft.»

Fake or Fact?

Mit Verlaub: Die Begründung hält keiner 30-minütigen Recherche stand. Ein wenig Lesen in einer vom UVEK (!) in Auftrag gegebenen und finanzierten Studie hätte gereicht, um diese Begründung zumindest in Frage zu stellen. Und: Man hätte eigentlich erwarten können, dass diese Korrektur vom UVEK bzw. Post-Departement von Frau BR Sommaruga kommt und man aufzeigt, wen man mit einer LSVA bei den Lieferwagen wirklich trifft. Fehlanzeige. Wir holen es deshalb kurz nach:

Wie hätte eine kleine Recherche aussehen können?
  1. Studium der UVEK-Studie «Auswirkungen des wachsenden Versandhandels auf das Verkehrsaufkommen» aus dem Jahr 2020 (auffindbar via Google)
    1. Feststellung Seite 34/35: Pakettransport macht ca. 5 % der km-Leistung aller Lieferwagen aus
  2. Analyse der km-Leistung von Lieferwagen im Vergleich mit der Paketentwicklung über die letzten 20 Jahre:
    1. Tabelle des BfS über die km Leistungen von Lieferwagen von 2013 zu Bestätigung der Aussage Punkt 1:
      ==> Feststellung: KEP Fahrzeuge machen 8 % der km-Leistung aus (inkl. Briefpost!)
    2. Analyse der gefahrenen km nach Nutzlast gemäss BfS von 2001 – 2019:
      ==> Feststellung: Lieferwagen mit Nutzlast > 1t stagnieren (also die beklagten Postfahrzeuge), diejenigen < 1t legen markant zu und sind «schuld» am km-Wachstum
    3. Analyse der Paketmengenentwicklung seit 2001:

      Quellen: PostCom, Evaluationsberichte BAKOM, ATKearney, (*) gerechnete Werte==> Feststellung: Die wachsende km-Leistung von Lieferwagen > 1 t steht in keiner Korrelation zum Postmarkt. Im Gegenteil. Der Wachstumsschub 2014 – 2019 von rund 50 % lässt sich gerade in der Kategorie Nutzlast > 1t nicht nachvollziehen.
Zwischenfazit:

Die Begründung „wachsender Onlinehandel“ für die Einführung einer LSVA auf Nutzfahrzeugen unter 3.5 Tonnen ist untauglich. Die Zahlen zeigen auf, dass nur die Nutzfahrzeuge mit einer Nutzlast von weniger als 1 Tonne das Wachstum ausgemacht haben, die «beklagten» Lieferwagen zeigen sich beinahe unverändert.

Wer wird nun aber von dieser LSVA denn am meisten getroffen?

Wir gehen davon aus, dass es vor allem das Kleingewerbe und generell die Transportbranche treffen wird. Warum? Der Transport von Lebensmitteln, Erzeugnisse der Landwirtschaft, Umzugsfahrzeuge etc. macht den Löwenanteil der km-Leistung bei Lieferwagen aus. Diese kleingewerblichen Aktivitäten werden nun zunehmend belastet (wenn wir davon ausgehen, dass nur die Fahrzeuge mit einer Nutzlast von > 1 Tonne der LSVA unterstellt werden).

Und der Onlinehandel?

Die letzte Meile in der Zustellung wird aktuell von einer grünen Welle erfasst. Die Post ersetzt grade in urbanen Gebieten die alten Dieseltransporter zunehmend durch Elektrofahrzeuge. Junge Unternehmen wie QuickPac oder notime setzen schon heute ausschliesslich auf Strom oder Menschenkraft. Ich habe letzthin gewettet, dass die Belieferung auf der letzten Meile 2030 zu 100 % «grün» erfolgen wird. So what?

Die Moral von der Geschicht

Das Leben und die Wahrheit ist etwas komplizierter als „der Onlinehandel ist schuld“. Diese neue LSVA wird kurzfristig alle treffen – insbesondere den Konsumenten. Nochmals: Über den Ursprungsgedanken kann man eigentlich diskutieren. Aber die Begründung ist schlicht falsch. Denn diese Motion wird eines nicht tun: Die Digitalisierung des Handels stoppen. Im Gegenteil: Sie wird den Onlinehandel noch günstiger machen, denn elektrobetriebene Motorfahrzeuge sind von der LSVA ausgenommen…

Wir schwanken zwischen „Danke Herr Ständerat“ und „war das wirklich Ihre Absicht Herr Ständerat?“

 

Nachtrag I – 24.03.2021: Eine Zusatzrecherche hat ergeben, dass die km-Leistung aller Nutzfahrzeuge < 3.5 t der Schweizer Post (Brief- und Paketpost, ohne Elektroroller) weniger als 2 % der in der Motion verwendeten 4.5 Mrd km ausmachen.

Nachtrag II – 01.04.2021: Nun haben auch die „privaten Zusteller“ (DHL, DPD, Quickpack, UPS etc.) km-Zahlen nachgeliefert. 2020 haben alle Paketzusteller zusammen ca. 114 Mio km geleistet. Das entspricht 2.5 % der in der Motion verwendeten 4.5 Mrd km Fahrleistung von Nutzfahrzeugen < 3.5 t.

One response to “Der Onlinehandel ist an allem schuld!?

  1. Nein zur Motion gleich lange Spiesse im Strassengüterverkehr
    Motion 20.4509 von Wicki Hans FDP

    Probleme der Motion:
    Welche Fahrzeuge <3.5T werden der LSVA unterstellt, nur Lieferwagen mit Brücke, Kastenwagen, SUV, Kombi PKW oder schlussendlich auch normale Autos mit grossen Kofferraum und Dachgestell. Alle diese Fahrzeuge können Güter transportieren und benutzen die Strasse. Selbst Velos mit Anhänger können Güter transportieren und erfordern Velowegverbreiterungen etc. das heisst auch diese verursachen Strassenkosten. Wie kann hier eine vernünftige und nicht willkürliche Abgrenzung erstellt werden.
    Zusätzlich wird beabsichtigt Transporte von vielen Handwerksbetriebe sowie Handel und Lebensmittelbetriebe von der Steuer zu befreien. Auch hier eine willkürliche Selektion die eigentlich alle Lieferdienste zum Konsumenten von eine allfälligen Steuer befreien, obwohl diese ebenfalls die Strasse benützen.
    Dementsprechend sollte die Motion "Erhöhung der Fahrzeugsteuer" oder "Umgehung der vom Volk abgelehnten Vignettengebühr" heissen.
    Wird die Steuer zu hoch ausfallen ist eine Verkehrsumlagerung auf grössere Fahrzeuge vor allem in Agglomerationen vorprogrammiert.
    Wird die Steuer günstig angesetzt ist der Administrative Aufwand für die Kontrolle und Organisation dieses Güterverkehrs (Ausschluss gewisser Gewerbebetrieb, Transporte die auf SUV und Kombi PKW etc.) so hoch das kaum etwas für die Strassenkosten übrig bleibt.
    Für den zu besteuernden Güterverkehr mit Fahrzeugen <3.5T bleiben vernünftigerweise nur noch ein minimal Anzahl Lieferwagen die im Fernverkehr eingesetzt werden. Hier könnte man allfälliger Weise eine höhere Vignettengebühr für solche Fahrzeuge einführen. Übersteigt aber diese Gebühr die Kosten der LSVA werden die Fahrzeuge durch Lastwagen mit besserem Nutzlastverhältnis ersetzt.
    Der einzige Vorteil von Fahrzeugen 3.5T haben in der Regel einen Nutzlastanteil von 40-50 %.
    In der Schweiz sind die Kosten für die Erlangung des Führerausweis C ca. 13’000 bis 18’000 Franken. Um diese Kosten und den dadurch bestehenden Chauffeurmangel mit Führerausweis C zu umgehen werden vermehrt Chauffeure aus dem Ausland rekrutiert. Arbeitslose Chauffeure mit Fahrausweis B belasten ja nicht die Strassenrechnung sondern die Arbeitslosenkassen. Ob eine solche Verkehrsverlagerung in den Agglomerationen erwünscht ist bleibe dahingestellt.

    Auswirkungen der Motion
    Bei niedriger Steuer ist mit entsprechender Befreiung der Dienstleistungsbetriebe ist der Aufwand enorm und die Einnahmen für den Strassenverkehr irrelevant.
    Bei zu hoher Steuer ist eine Umlagerung auf SUV und Kombi PKW oder auf Lastwagen vorprogrammiert. In jedem Fall werden die Agglomerationen mit Mehrverkehr oder grossen Lastwagen konfrontiert. Es ist auch eine Zunahme des Individualverkehrs zu erwarten wenn die Liefergebühren erhöht werden und ein abholen ab Zentrallager angeboten wird.

    Lösungsvorschlag
    Das Gesamtgewicht von Lieferwagen kann mit Fahrausweis B von 3.5T auf 4.5T erhöht werden. Dieses Ansinnen ist nicht neu, plant man doch Elektrofahrzeuge mit Gesamtgewicht von 4,5T mit Führerausweis B zu bewilligen.

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