Eine logistische Gratwanderung

Standpunkt-Beitrag 11/2020, www.logistik-online.ch
Autor: Patrick Kessler

Weihnachten 2020 Online: +50 Prozent

Die heisseste Phase im Jahr für den Non-Food-Handel läuft. Der Onlinehandel explodiert förmlich. Die Schweizerische Post stösst an ihre Grenzen, aber auch die Onlinehändler sind aufs Äusserste gefordert. Ein System befindet sich auf einer Gratwanderung. Der Gipfel ist nah, alle Kräfte werden gebündelt und nochmals mehr Schutzmassnahmen ergriffen, damit die Seilschaft nicht doch noch abstürzt.

Onlinehandel fordert analoge Exellenz – ich weiss, eine widersprüchliche Headline. Wenn wir aber das Innerste des Onlinehandels nach aussen kehren, dann sind da Waren, Pakete, Maschinen und Menschen. Das einzig «einfach» Skalierbare ist die digitale Kommunikation beziehungsweise der Angebots- und Bestellprozess.

Flaschenhalsmanagement in extremis
Sobald es in die Exekution geht, sehen wir uns mit den Herausforderungen analoger Logistik-Prozesse (mit digitaler Unterstützung und Planung) konfrontiert. Die klassischen Flaschenhälse drohen: Ware, Fläche, Personal, Dienstleister. Covid-19 war und ist ein einziges Flaschenhals-Management von Händlern in Zusammenarbeit mit den Zustellern.

Der Onlinehandel wartet mit eindrücklichen Zahlen auf
Im April 2020 ist der Onlinehandel bei geschlossenem stationären Non-Food-Handel um 80 Prozent gegenüber Vorjahr angestiegen. Noch viel eindrücklicher sind die absoluten Einheiten: Im April wurden pro Tag rund 850 000 Pakete ausgestossen, eine Erhöhung von rund 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im Onlinehandel fand Weihnachten schon an Ostern statt. Die Schweizerische Post hat geächzt – aber nach einer zweiwöchigen Flaschenhals-Phase waren die Mengen unter Kontrolle. Es hätte aber wenig gebraucht, und die Seilschaft Onlinehandel-Zustelldienstleister wäre gemeinsam abgestürzt.

Und was passiert rund um Weihnachten?
Was uns nun seit Mitte Jahr umtreibt: Schaffen wir «Black Friday», «Cyber Monday» und Weihnachten ohne Kollaps? Was passiert, wenn auf Basis der Vorjahreszahlen rund um Weihnachten die Onlinehandels-Mengen nochmals um 80 Prozent steigen würden und sich ein April-Szenario wiederholt? Dabei gingen wir von einer planbaren «erhöhten Leistungsfähigkeit» von bis zu 1,2 Millionen Paketen der Schweizer Zustellanbieter aus. Alles über dieser Menge hätte mutmasslich das Gesamtsystem überstrapaziert.
Aufgrund dieser Erkenntnisse haben wir in vielen Gesprächen mit der Schweizerischen Post, Onlinehändlern, aber auch mit der Politik konstant darauf aufmerksam gemacht, dass ein Lockdown des stationären Non-Food-Handels im November/Dezember 2020 dramatische Konsequenzen hätte. Unsere Alarmglocken haben im Oktober geschrillt, als der Kanton Genf genau dieses Szenario umgesetzt hat und wir befürchten mussten, dass andere Kantone nachziehen und der Zustellmarkt in den roten Bereich getrieben wird.

Optimismus kurz vor dem grossen Endspurt
Kurz vor dem Endspurt sind wir sicher, dass Weihnachten dieses Jahr mit Geschenken stattfinden kann – dank stationärem Handel und dem Aufgebot aller logistischen Kräfte seitens Onlinehandel und Zustellern. Ein grosses Dankeschön an all die Personen, die das in einer schwierigen Situation möglich machen.

 

 

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