IST EIN ONLINESHOP EIN MUSS?

INDIVIDUELLE LÖSUNGEN STATT STANDARD

Die letzten 18 CoronaMonate haben vermeintlich jedem Gewerbetreibenden aufgezeigt, dass die Digitalisierung eines Unternehmens überlebenswichtig sein oder gar Rückenwind produzieren kann. Aber muss es nun gleich ein eigener Onlineshop sein? «Nein, nicht unbedingt», sagt Patrick Kessler vom HANDELSVERBAND.swiss mit 20 Jahren Onlinehandelserfahrung.

Ein kurzer Blick zurück
Vor zehn Jahren hätte er Ihnen wahrscheinlich noch gesagt: «Es wird die Zeit kommen, in welcher jedes Unternehmen einen eigenen Onlineshop betreibt.» Es war eine Zeit, als Marktplätze, Social Media, Voice Assistants und Smartphones noch nicht existiert haben oder noch ein Nischendasein fristeten. Versandhandel oder eben Onlinehandel war speziell, es war ein separater Verkaufskanal, eine Handelsart betrieben «von speziellen Leuten, welche keine Ahnung hatten, wie wichtig Haptik ist». Sicher haben Sie auch solche Gespräche oder zumindest Gedanken in Erinnerung?

Die grosse Verschmelzung
Zehn Jahre später hat das Smartphone Verkaufskanäle verschmolzen, Haptik zu einem Verkaufsargument unter vielen werden lassen, den sozialen Interaktionen neue Dimensionen verliehen, das Portemonnaie überflüssig und Amazon, Netflix und Co. gross gemacht. Und jetzt rät man Ihnen also als erste Digitalisierungshandlung einen Onlineshop aufzusetzen? Mit grosser Wahrscheinlichkeit werden Sie mit diesem Schritt nicht glücklich werden, aber sicher einen recht hohen Preis bezahlen. Aber was ist denn die Alternative für einen stationären Gewerbebetrieb?

Kleine Schritte in die Digitalisierung
Sie haben tolle Produkte oder eine wunderbare Dienstleistung anzubieten? Natürlich gehört eine digitale Präsenz heute dazu – dies muss aber nicht zwingend ein eigener Onlineshop sein! Natürlich müssen Sie gefunden werden, wenn man Sie digital sucht: Gefunden werden Sie aber auch, wenn sie eine «Google my business»-Präsenz einrichten, auf Facebook, Instagram oder Pinterest Ihr Unternehmen registrieren und Produkte darstellen. Oder wenn Sie eine einfache Website mit Ihren Top 3 Produkten aufsetzen. Eine gewisse Onlinepräsenz ist also notwendig – es muss aber nicht immer ein teurer Onlineshop sein.
Warum? Ein guter, alle Ihre Produkte umfassender Onlineshop kostet schnell einmal ein paar tausend Franken, viele Arbeitsstunden und Ablenkung vom Tagesgeschäft. Eine kleine, sympathische digitale Präsenz mit Ihren besten Produkten bekommen Sie schnell und kostengünstig (wenn Sie Ihre Stunden nicht rechnen) auf Marktplätzen, sozialen Kanälen – ohne gleich einen Onlineshop mit Checkout-Funktion, Verfügbarkeitsanzeige und Integration in Ihre Systeme unterhalten zu müssen.

Die digitale Präsenz und dann?
Wir pflegen jeweils folgenden Vergleich: Wenn Sie Ihre digitale Präsenz «eingerichtet» haben, steht Ihr Geschäft bildhaft in einer Wüste. Niemand wird sich in Ihren digitalen Laden verirren, nur weil er da ist. Sie müssen also für Aufmerksamkeit und damit Frequenz sorgen. Die wichtigste Frage lautet nun: Wie bringe ich meine digitale Präsenz aus der Wüste an den Bahnhof Zürich oder zumindest in eine regelmässig frequentierte Lage?
Nun beginnt die nicht einfache, aber hoffentlich umsatzbringende Arbeit der digitalen Kommunikation. Mit welchen kommunikativen Massnahmen bringen Sie zuerst Ihre Stammkunden dazu, Ihre digitale Präsenz zu
registrieren oder gar zu besuchen? Wie machen Sie Neukunden neugierig, bei Ihnen am Wochenende digital vorbeizuschauen, auch wenn Sie grade Wochenende haben? Wie werden Sie gefunden, wenn jemand nach
Ihrem Produkt sucht?

Viele Wege führen zu digitaler Frequenz
1. Mit bestehenden Kunden digital Kontakt aufnehmen (Kunden halten)
2. Soziale Netzwerke oder Marktplätze zur Neukundengewinnung nutzen (Kunden gewinnen)
3. Testen: Wenige Bestseller mit Suchanzeigen sichtbar machen

Mit bestehenden Kunden digital kommunizieren
Jetzt oder nie: Der Zeitpunkt ist da, mit Ihren Kunden neben dem physischen Kontakt auch die digitale Kommunikation aufzunehmen. Es muss nicht immer «Hardselling» im Onlineshop oder im Laden sein. Auch eine Information über die neuen Lehrlinge in Ihrem Betrieb, das neueste Produkt, eine technische Innovation oder einfach mal eine Einladung zum Feierabendapero in Ihren Räumlichkeiten erregt Aufmerksamkeit und löst beim Empfänger etwas aus. Haben Sie Mut und suchen Sie v. a. auch Rückmeldungen zu Ihren Aktivitäten. Wichtig: Tun Sie es regelmässig – machen Sie einen kleinen Redaktionsplan. Einmal ist keinmal. Zweimal ist einmal. Tun Sie es in einem für Sie stimmigen Rhythmus und passen Sie diesen bei Bedarf an. Registrieren Sie fortan jede Kundenadresse mit dem Ziel, Ihre digitale Kommunikationsbasis auszubauen. Wer nicht digital kommuniziert, wird eines Tages nicht mehr wahrgenommen.

Soziale Netzwerke oder Marktplätze zur Neukundengewinnung nutzen
Wie wäre es mit diesem Test: Sie stellen Ihr bestes Produkt/Dienstleistung mit einer echten Kundenempfehlung in Ricardo, Tutti, Instagram, Pinterest, Facebook oder Ähnliche ein und geben 200 CHF für eine Anzeigenschaltung in Ihrem Dorf, Kanton oder Sprachgebiet aus und schauen, was passiert? Natürlich sollte das Bild und der Text professionell gestaltet und eine digitale Präsenz Ihres Unternehmens zugänglich sein. Ich bin sicher, Sie finden in Ihrem örtlichen Gewerbeverband einen kreativen Kopf mit Erfahrungen, der gerne mit Ihnen testet und kreative Ideen ausprobiert. Bild und Text verwenden Sie natürlich auch für eine Geschichte an Ihre bestehenden Kunden (NL) und Ihr Gemeindeblatt. Für positive Rückmeldungen bedanken Sie sich, für negative auch und geben auch eine Antwort dazu. Sie werden staunen, welche Kreise solche Aktivitäten ziehen. Aber bitte tun Sie etwas nicht: mit «Lowsellern» oder Abverkauf die ersten Schritte versuchen.

Mit Suchanzeigen sichtbar werden
98 % aller Konsumenten suchen – mehrheitlich über Google. Viele Konsumenten suchen aber lokal in der Nähe von Ihnen. Google spielt gemäss unseren Beobachtungen auch immer mehr lokale Anzeigen prioritär aus. Wenn Sie bei einer solchen Suche nicht präsent sind, landet vielleicht sogar Ihr Stammkunde das nächste Mal beim Konkurrenten. Schalten Sie also doch mal eine Werbeanzeige mit Ihren drei besten Produkten auf Google oder Bing. Schränken Sie die Werbung lokal ein und beobachten Sie, ob geklickt wird. Auch hier wird ein lokaler Gewerbetreibender Sie mit Rat und Tat unterstützen. Ich bin fast sicher, dass es wirkt. Zuerst homöopathisch, aber dann immer mehr.

Digital einzigartig sein
Und irgendwann ist die Schweiz, Europa oder auch die Welt Ihr Markt. Vielleicht nur für ein bestimmtes Produkt oder eine sehr ausgefeilte Dienstleistung. Aber das ist das Schöne an der Digitalisierung: Man kann mit wenig viel erreichen, wenn man etwas sehr gut und einzigartig macht. Werden und bleiben Sie deshalb mit Ihrem digitalen Angebot so einzigartig wie möglich und die digitale Welt steht Ihnen offen: Nicht zwingend via Onlineshop, aber unbedingt mit digitaler Kommunikation und Präsenz!

 

Publiziert: Aargauer Wirtschaft NR. 12 | 15. DEZEMBER 2021

 

 

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