
Beitrag von Shopware
Im Interview verrät Stefan Hamann, Co-CEO und Gründer des E-Commerce-Plattform-Anbieters Shopware, warum „Agentic Commerce“ den zukünftigen Handel dominiert und wie Händler sich darauf vorbereiten.
Herr Hamann, viele sprechen derzeit über KI im Handel. Was unterscheidet „Agentic Commerce“ vom allgemeinen Trend zu KI‑gesteuerten Prozessen?
KI ist für uns nicht das Ziel, sondern das Werkzeug. Was wirklich zählt, ist das neue Paradigma dahinter: Agentic Commerce. Während klassische KI‑Ansätze darauf abzielen, bestehende Prozesse zu optimieren – etwa den Check-out etwas schneller oder die Produktsuche etwas smarter zu machen – geht Agentic Commerce einen radikal anderen Weg: Er ersetzt diese Prozesse vollständig. Statt dass Kund:innen sich durch Kategorien, Filter und Warenkörbe klicken, übernehmen autonome Agenten den gesamten Kaufprozess. Agentic bedeutet: Der Kunde denkt, der Bot kauft. Kein Checkout, kein Funnel, kein Kaufabbruch. Einfach nur das Ziel definieren – und der Rest passiert im Hintergrund. Das ist kein evolutionärer Schritt im E‑Commerce, sondern eine Revolution.
Was bedeutet der Begriff „Bot Economy“ für den Alltag von Onlinehändler:innen – und welche Herausforderungen bringt sie konkret mit sich?
Bots sind die neuen Kund:innen. Und das meinen wir ganz wörtlich. In einer Welt, in der autonome Agenten Kaufentscheidungen treffen, gilt eine einfache Regel: Wer in deren Systemen nicht sichtbar ist, findet nicht statt. Die Herausforderung dabei: Plötzlich werden deine Daten selbst zum Verkaufsargument. Es geht nicht mehr nur um schöne Bilder oder kreative Texte, sondern um Datenqualität, Aktualität und Struktur. Händler:innen müssen deshalb umdenken: Sie präsentieren nicht mehr für Menschen, sondern beschreiben für Maschinen. Produktbeschreibungen, Lagerbestände, Lieferoptionen, Rückgaberichtlinien – das alles muss maschinenlesbar, präzise und konsistent sein. Sonst ignoriert dich der Bot. Und wenn der Bot dich ignoriert, dann auch der Kunde.
Ein zentrales Ziel von Agentic Commerce ist, Händler:innen mehr Kontrolle zu geben. Wie sieht das in der Praxis aus – gibt es konkrete technische oder strategische Massnahmen?
Agentic Commerce heisst nicht: Kontrolle abgeben, im Gegenteil. Mit einem BYO‑Modell („Bring Your Own“) setzen Unternehmen auf eigene KI‑Instanzen statt auf die Blackbox‑Lösungen der grossen Tech-Firmen. Das bedeutet: volle Transparenz und volle Entscheidungsfreiheit. Über offene APIs behalten Händler:innen die Kontrolle darüber, wo ihre Daten landen und wer was damit tun darf – und was nicht. Technisch heisst das: Der sogenannte Agent Execution Layer liegt beim Händler, nicht in einer fremden Cloud. Strategisch heisst das: Händler bleiben Herren ihrer gesamten Conversion‑Kette.
Viele Plattformen und grosse Tech-Unternehmen entwickeln heute eigene geschlossene Systeme. Warum befürworten Sie offene Standards?
Lock‑in ist kein Geschäftsmodell, sondern ein Zeitaufschub für Mittelmass. Wer Nutzer:innen an sich bindet, indem er Systeme verschliesst, setzt nicht auf Qualität, sondern auf Abhängigkeit. Das ist weder nachhaltig noch zukunftsfähig. Ich glaube an das Gegenteil: Offene Standards schaffen Vertrauen, Interoperabilität und langfristige Perspektiven. Wer APIs schliesst, hat oft etwas zu verbergen. Aber wer wirklich vorne mitspielen will, muss sich öffnen – technologisch, strategisch und kulturell. Denn die besten Ideen entstehen nicht im Elfenbeinturm, sondern im Netzwerk. Innovation ist heute eine Teamleistung – und Offenheit ist ihr Betriebssystem.
Wie kann KI konkret beim Differenzieren helfen – jenseits von Preisalgorithmen?
Agenten verstehen mehr als nur Zahlen, sie verstehen Kontext. Und genau darin liegt das Potenzial: Denn wenn Dinge wie Beratungskompetenz, Vertrauen oder Community früher schwer messbar waren, werden sie jetzt durch strukturierte „Experience Signals“ sichtbar, bewertbar und damit endlich auch skalierbar. Das verändert den Wettbewerb grundlegend. Wer nur über den Preis gewinnt, verliert bei der Loyalität. Aber wer echte Differenzierung schafft – durch Service, Haltung oder Kundennähe – wird weiterempfohlen. Und das nicht nur von Menschen, sondern auch von Bots. So wird aus Markenbindung ein Algorithmusfaktor und aus Differenzierbarkeit ein echter Wachstumstreiber.
Welche Rolle spielen Storytelling, Beratung oder Community‑Building im Kontext von agentischem Handel?
Experience spielt eine zentrale Rolle im Agentic Commerce. Nur müssen wir sie maschinenlesbar machen. Denn in der neuen Logik des Handels ist nicht mehr nur das Produkt das Inventar – die Experience ist es auch. Wer erklärt, begeistert und mitzieht, gewinnt in der Bot Economy. Denn auch wenn KI keine echte Community aufbauen kann, entscheidet sie doch, ob die eigene Community relevant ist. Das verändert die Metriken: „Soft Signals“ wie Kundenbewertungen, Trust‑Scores oder Interaktionsraten sind im Agentic Setup keine weichen Faktoren mehr, sondern werden zu harten KPIs. Sie sind das, worauf autonome Agenten vertrauen, wenn sie entscheiden, wem sie Aufmerksamkeit schenken.
Was raten Sie kleinen und mittleren Onlinehändler:innen, die sich auf die kommenden Veränderungen vorbereiten wollen?
Don’t panic – aber wach bleiben. Agentic Commerce kommt nicht über Nacht, aber der Wandel hat längst begonnen. Wer jetzt klug handelt, kann ihn aktiv mitgestalten. Die ersten Schritte sind klar: Datenqualität prüfen, Produkte maschinenlesbar machen, Kundenbewertungen systematisieren. Noch besser: sich an offenen Communities, Arbeitsgruppen und Referenzprojekten beteiligen – dort findet man nicht nur Gleichgesinnte, sondern auch konkreten Code, praxiserprobte Use Cases, Tools und Standards, um direkt loszulegen. Und der vielleicht wichtigste Tipp: KI ist kein neues Feature. Sie verändert die Machtverteilung im digitalen Handel. Wer das versteht, trifft heute andere Entscheidungen – und ist morgen nicht abhängig, sondern einen Schritt voraus. Ausserdem sollten Händler sich bewusst machen, dass Agentic Commerce, und E-Commerce generell, ein Mannschaftsport ist, in dem es auf passende Partner ankommt, von den Technologie- bis zu den Implementierungspartnern.