Cool bleiben – das Glas ist halbvoll!
Heute ist ein regelrechter Aufschrei durch die Medien inkl. Twitter etc. gegangen. Amazon verzollt ab 2018 ordentlich und wird in der Lage sein in 24 Stunden Pakete in die Schweiz zu liefern. «Na und?» wage ich zu schreiben.
Wir sind mitschuldig
Auf die Gefahr hin, dass mich meine Mitglieder nicht mehr mögen: Der VSV ist an dieser Entwicklung der Hauptschuldige. Ja, sie lesen richtig: Wir haben vor nunmehr 4 Jahren anlässlich der Lancierung der Teilrevision des MWST-Gesetzes indirekt gefordert, dass ausländische Online-Händler ab einem Umsatz von 100’000 CHF in der Schweiz MWST-pflichtig werden. Grund: Wir haben mit Sorge mitangeschaut, wie internationale Handels-Unternehmen konsequent «legale Steuerumgehung» betreiben. Der Schweiz sind in den letzten 10 Jahren alleine durch das Amazon Geschäftsmodell geschätzte 300 Mio MWST entgangen.
ABER: Wir haben damals schon gesagt, dass unser Vorstoss das «Risiko» mit sich bringt, dass die betroffenen Unternehmen (damals v.a. Amazon) bei Umsetzung der Revision die Schweiz erst recht ins Visier nehmen.(siehe Blogbeitrag – Ausschnitt nachstehend).
Was ist bis vor kurzem abgelaufen?
Einfach beschrieben hat Amazon bis anhin die Schweizer-Pakete unter der MWST/Zoll-Freigrenze der Schweizer Post ins Briefzentrum Mülligen gekippt und indirekt mitgeteilt: Macht damit was ihr wollt, wir müssen es nicht verzollen, weil die Werte unter der Freigrenze von 62.50 CHF bzw. 200 CHF liegen. Der Konsument hat sich an MWST-freien Einkäufen gefreut, die Post hat günstig Grossbriefe zugestellt bzw. wir haben mit hohen Pakettarifen international gültige Formate und damit Amazon & Co. subventioniert. ABER: Der Lieferprozess hat gedauert und Amazon konnte nie sicher sein, was mit der Sendung genau passiert und wie lange die Zustellung in die Schweiz dauert. Kein Lieferversprechen, keine Retourenrückgabe in der Schweiz und ab und an ein «Strafverzollung» für einen genervten Konsumenten – aber günstig war es für den Konsumenten und Amazon! Aus isolierter Händler-Sicht: die Schweizer Händler haben ihren grossen Konkurrenten subventioniert!
Was ändert sich? – MWST-Einnahmen steigen
Nun scheint gemäss Presseberichten folgendes zu geschehen: Amazon verzollt neu alle Sendungen ordnungsgemäss (auch diejenigen unter 62.50 CHF) und rechnet die MWST auf den Sendungen wie ein Schweizer Händler darauf ab. Dienstleister für diese Abwicklung soll die Schweizer Post werden. Das machen übrigens Zalando, Home24, Quelle, La Redoute, Jelmoli, Weltbild, Tchibo etc. seit Jahren oder Jahrzehnten! Amazon fängt sich an, wie ein Schweizer Händler zu verhalten (ausser dass wahrscheinlich weiterhin in EUR fakturiert wird).
Schöner Nebeneffekt für unseren Finanzminister Ueli Maurer: Das dürfte 20 – 30 Mio MWST pro Jahr in die Bundeskasse spülen…. ich hätte vor 4 Jahren eine Bonusvereinbarung aufsetzen sollen…
Was ändert sich noch? – Liefergeschwindigkeit steigt
Offenbar ist Amazon damit in der Lage die Ware schneller zum Kunden zu bringen. Die Szene fragt sich wieso? Ganz einfach: Es wird elektronisch deklariert. Wenn der Prime LKW mit den schnellen Sendungen sich auf den Weg in die Schweiz macht, ist die Ware schon elektronisch angemeldet und wird zolltechnisch im Fahren deklariert und verzollt. Nur in Einzelfällen wird der Zoll den Lastwagen zu einer Stichprobe anhalten und prüfen, ob wirklich jedes Paket mit der richtigen Tarifnummer und dem entsprechenden Gewicht (!) gemeldet wurde…. Amazon gewinnt an Gewissheit, dass die Ware schnell in Härkingen oder Frauenfeld der Post übergeben werden kann und spätestens am nächsten Tag beim Kunden ist! Was so eine elektronische Verzollung alles bewirkt: Mehr MWST-Einnahmen für den Bund und schnellere Lieferung für den Konsumenten – grotesk aber wahr.
Wer jammert denn hier?
Seit Jahren predige ich: Es ist nicht eine Frage ob Amazon richtig einsteigt sondern wann. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, ich habe es eigentlich schon länger erwartet. An unserem Herbstevent vor nunmehr 2 Jahren hat uns Alexander Graf schon geistig auf diesen Zeitpunkt hin vorbereitet. Jeder der sich mit Online-Handel ernsthaft auseinander gesetzt hat, muss sich auf diesen Moment vorbereitet haben – oder etwa nicht?
Wird dieser Black Friday wirklich zum Schwarzen Freitag?
Und heute war es «endlich» soweit. Und was geschieht? Warnungen, Black Out Szenarien (morgen ist auch noch Black Friday..), und Grundsatzdiskussionen werden lanciert. Aber ist es wirklich so schlimm?
Cool bleiben und die Chancen wittern
Ich weiss, es ist einfach als Funktionär aus dem Zug heraus zu bloggen. Aber ich sehe damit auch eine Chance und die geht so: Warum «gehe» ich als Schweizer Händler nicht genau jetzt auf Amazon? Die Ausgangslage ist eigentlich einmalig: AMAZON WIRD IN DER LAGE SEIN IN DIE SCHWEIZ ZU LIEFERN. ALLES (oder fast alles) AUCH DIE SORTIMENTE DER SCHWEIZER MARKTPLATZHÄNDLER!!! Als Händler könnte ich nun meine Ware über Amazon als Vendor oder Seller feilbieten… und Amazon liefert auch in die Schweiz. Gleichzeitig kann die gleiche, bei Amazon in D liegende Ware auch über ganz Europa verteilt werden. Wann hat es jemals diese Möglichkeit gegeben? Bis anhin war das nicht möglich, ich musste fast zwingend 2 Lagerbestände führen….
Und der Knüller zum Schluss: Mit Amazon Prime würde meine Ware am nächsten Tag beim Kunden sein, selbst wenn ich selber in der Schweiz diese Performance nicht hinbringe (was wiederum eher peinlich für den Schweizer Händler ist).
Nun gut, es kostet etwas und ich begebe mich in Abhängigkeiten. Aber die Internationalisierung steht auf einmal unter einem anderen Stern und es eröffnen sich neue Perspektiven. Es lohnt sich, diesen Standpunkt einzunehmen und ernsthaft zu prüfen!
Sie wagen sich nicht? Sie glauben nicht an Ihr Produkt oder haben Angst vor Amazon?
Wenn dem wirklich so ist: Verkaufen Sie Ihre Lagerrestbestände und legen Sie die Liquidität in Amazon Aktien an. Denn offenbar ist Ihr Glaube an Ihre Produkte kleiner als die Angst vor Amazon. Wenn Sie so denken, dann ist es Zeit Ihr Handelsmodell zu überdenken.
Aber vielleicht besetzen Sie ja auch eine unantastbare Nische – dann gratuliere ich Ihnen, empfehle aber trotzdem mal nachzudenken, wie Sie Amazon denn ab 2018 für Sie nutzen können.
Ja, vielleicht werde ich nun an der nächsten Mitgliederversammlung abgewählt, weil ich mich für die MWST-Pflicht der ausländischen Online-Händler seit 5 Jahren ins Zeug lege (und auch Ali & Co werden noch dran glauben müssen) und deren Einstieg mitprovoziert habe. Aber ich sehe es bei allen Risiken und Problemen auch als Chance: Der immense (Währungs-)Druck auf unseren Standort hat schon in der Industrie Innovation, Nischenprodukte und «ein wenig Wahnsinn» erzeugt. Ich hoffe, unsere Händler reagieren genau gleich: JETZT ERST RECHT! Was uns nicht umbringt macht uns stärker – ich glaube an die Stärke der Schweizer Händler und freue mich demnächst das eine oder andere Mitglied auf Amazon anzutreffen.