Nach China nur einen Mausklick

UND WER BEZAHLT DEN PREIS DAFÜR?

Dieser Beitrag ist am 20. Februar 2018 in der Handelszeitung erschienen. Wir publizieren den Beitrag mit freundlicher Genehmigung von Andreas Güntert im Originalwortlaut – treffender kann man derzeit kaum formulieren. Herzlichen Dank!

GESTERN JAMMERTE DER SCHWEIZER DETAILHANDEL NOCH ÜBER EINKAUFSTOURISMUS IN KONSTANZ. DIE NEUE BEDROHUNG LIEGT NÄHER: EINEN KLICK ENTFERNT.

Das Sofa von Möbel Dick in Lauchringen. Die Kurpackung Balea-Duschgel, erbeutet zum Schleuderpreis bei dm in Konstanz. Oder ein Rucksack voll herzhaftem Schwarzwälder Schinken, eingetütet bei Edeka in Waldshut: Um solche grenzüberschreitende Fischzüge drehte sich die emotionale Schweizer Diskussion zum Ausland-Shopping bisher.

Jetzt zeigt sich: Die wahre Auslandspost geht nicht stationär ab. Sondern im Netz. Der Unterschied: Nach Konstanz ist es eine halbe Stunde. Nach China nur einen Mausklick.

Cross-Border-Einkäufe wachsen

Thomas Hochreutener von der Marktforscherin GfK Switzerland sagt es so: «Im stationären Bereich stagnieren die Schweizer Auslandseinkäufe auf hohem Niveau. Aber online wachsen die Cross-Border-Einkäufe überdurchschnittlich stark.». In Zahlen: Die rund 10 Milliarden Franken, die Schweizer bei ihren Trips zu Möbel Dick, dm und Edeka liegen lassen, machen etwa 11 Prozent des gesamten Schweizer Detailhandels aus. In der Online-Welt aber liegen die Kräfteverhältnisse ganz anders: 19 Prozent aller Schweizer Einkäufe im Netz landen bei ausländischen Anbietern, bei Amazon, Aliexpress und Zalando. Der Anteil wächst Jahr für Jahr, rechnet Patrick Kessler vom Verband des Schweizerischen Versandhandels vor: «Seit 2011 haben sich die Online-Einkäufe im Ausland verdreifacht.»

Heisst das, dass die Schweizer Händler alle geschlafen haben im boomenden Online-Geschäft? Heisst es nicht. Bei Lebensmitteln machen sich Coop@home und LeShop gut; im Bereich Heimelektronik spielten Anbieter wie Digitec und Brack.ch eine Pionierrolle. Salopp gesagt: Alles, was essbar ist oder ein Kabel dran hat, haben die Schweizer Anbieter bisher im Griff. Den Rest weniger.

Asiatische Versender wie Aliexpress

Fürs neuerliche Wachstum im ausländischen Online-Geschäft – immerhin ein Plus von 300 Millionen Franken gegenüber Vorjahr – dürften vor allem asiatische Versender wie Aliexpress, Wish und JD.com verantwortlich sein. Bisher mussten Schweizer Online-Shopper dafür einen Deal eingehen: Lächerlich kleine Preise für Ladekabel, Handy-Hüllen und Modeschmuck, dafür lange Lieferfristen. Wenn nun aber Alibaba in Bulgarien ein grosses Logistikzentrum baut, werden Millionen von Paketen schneller ankommen in der Schweiz. Was zu noch mehr Kunden führen dürfte hierzulande. Immerhin rangiert Aliexpress heute schon in der Top 10 der umsatzstärksten Shopping-Websites in der Schweiz.

Der Modus ist bekannt: Wer sich einmal mit einer kleinen Bestellung an eine zuvor unbekannte Online-Plattform herantastet, gut bedient wird und Vertrauen gewinnt, wird mutiger. Eine klassische Online-Shopping-Karriere verläuft so: zuerst das Ladekabel. Dann das Tablet. Dann der 3-D-Printer. Alibaba-Kapitän Jack Ma ist drauf und dran, Konstanz durch Bulgarien zu ersetzen. Wenn sich der Handel schonmal vorbereitet auf das bulgarische Bauchgrimmen, macht er bestimmt nichts falsch.

Ebenfalls nicht falsch machen Konsumenten, wenn sie einmal innehalten und sich fragen, warum die Gadgets auf Aliexpress so billig sind. Und wer den Preis zahlt dafür.

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