Warum Preisdifferenzen ohne Gesetzesinitiativen verschwinden

DAS WASSER SUCHT SICH SEINEN WEG

Seit Jahren vertrete ich die radikale These, dass sich Produktepreise für vergleichbare Güter angleichen werden. Nur der Gesetzgeber ist in der Lage dies zu verhindern (wenn er denn will). Der Händler wird nur noch über Servicefaktoren Preisdifferenzierung betreiben können.

Ein Blick zurück – «ante» Internet

Im Vorinternetzeitalter haben Händler im Nachhinein betrachtet im Schlaraffenland gelebt. Händler konnten für Produkte fast verlangen was sie wollten. Es herrschte während vielen Jahren ein Anbieter-Markt, da Transparenz für den Konsumenten schwierig herzuleiten war, Reklamationen kaum publik gemacht werden konnten und die Auswahl lange Zeit auch beschränkt war (zumindest im Vergleich zu heute). Der Händler war der König, der Kunde der Bittsteller – die Händler haben es einfach immer umgekehrt betitelt. Denn dass der Kunde wirklich König oder Kaiser ist, das stimmt erst seit ca. 10 Jahren – online sei Dank.

In der Vor-Internet Zeitrechnung konnte also im klassischen Sinne «Arbitrage» betrieben werden, es sei denn Kassensturz oder Beobachter haben mal genau hingeschaut und einen Skandal daraus gemacht.

Typischerweise konnten in jener Zeit auch Konzepte wie «garantierter Tiefstpreis» (z.B. Fust) etwas lockerer in die Welt gesetzt werden als heute. Es gab wahrscheinlich immer mal wieder irgendwo einen günstigeren Anbieter, aber wer machte sich schon die Mühe das konsequent zu verfolgen. Heute wären solche Konzepte schon ein wenig riskanter…

Exkurs: Arbitrage ist nützlich und wichtig – es führt in transparenten Märkten zum Preisausgleich

In diesem Kontext lohnt sich auch das Wort Arbitrage für eine andere Branche nochmals kurz in der Vergangenheit auszuleuchten: An den Börsen wurde zu Zeiten des telefonischen Handels Arbitrage bis zum Umfallen betrieben. Zeit- und geografische Differenzen haben in jener Zeit dem Einen oder Anderen geholfen reich zu werden. Auch heute findet im Börsenhandel noch Arbitrage statt, allerdings sprechen wir da von Hochfrequenzhandel eines digitalisieren Gutes. Was ist denn die Funktion von Arbitrage (gemäss Wikipedia)?

«Bestehende Preisunterschiede werden von Arbitrageuren erkannt und durch Arbitrage genutzt. Das führt durch Käufe zu einer Preiserhöhung auf dem preisgünstigeren Markt und durch Verkäufe zu Preisrückgängen auf dem teureren Markt. Deshalb übernimmt die aggregierte Arbitrage eine Preisausgleichsfunktion. Arbitrage findet solange statt, bis der Arbitragegewinn mit den Transaktionskosten identisch ist. Die Raumarbitrage sorgt für Marktliquidität, da der Arbitrageur beim Kauf das Arbitrageobjekt einem verkaufswilligen Marktteilnehmer abnimmt, um es beim Verkauf einem (anderen) kaufbereiten Marktteilnehmer zu überlassen.»

In diesem Sinne hat Arbitrage eine regulierende, preisausgleichende Funktion, die Regulation wird aber in der Theorie vom Nutzer/Konsumenten getrieben und nicht vom Staat.

Im Handel passiert derzeit das gleiche wie an der Börse vor rund 25 Jahren. Der Handel wird «elektrisiert» oder eben digitalisiert. Noch sind nicht alle Marktteilnehmer an dieser Börse angeschlossen, noch sind nicht 100 % der Güter «liquide», aber der Weg dahin ist vorgespurt.

Was würde es bedeuten, wenn das gesamte Retailgeschäft elektronisch geführt würde?

Kehren wir zurück in die Gegenwart und schauen vielleicht sogar ein wenig in die Zukunft: In einer theoretischen Welt, würde bei 100 % Online-Handelsanteil das digitale System unweigerlich dazu führen, dass Konsumenten von allen Händlern auf der Welt die Produktepreise kennen würden. Ob diese nun in Europa, Australien oder Afrika sitzen spielt dabei nur eine keine Rolle, solange Transportkosten tief gehalten werden können. Jeder Händler würde mit seinem Angebot die Retail-Börse füllen. Absolute Preistransparenz wäre die Folge. Gleichzeitig ergeben sich neue Handelsmodelle (u.U. auch Sharing) mit unterschiedlichen Gebührenstrukturen – genau wie wir es heute im Finanzwesen sehen. Es gibt den Discount Broker der für eine tiefe fixe Jahresgebühr und sehr tiefen variablen Kosten seinen Service anbietet – nennen wir es Stock-Discount. Stock-Discount bietet kein Abendessen, keine persönlichen Gespräche, keine Theateraufführungen oder Sportsponsorings an. It’s a deal, Punkt. Auf der anderen Seite des Spektrums steht der Anbieter Stock-Advisor, der den Kunden mit genau den Defiziten des Konkurrenten anlockt, Portfoliorisiken ausmerzt und dafür einen höheren Preis nehmen kann. Notabene um die gleich teuren Aktien zu kaufen oder umzuschichten.

Beide Modelle finden ihre Kunden, beide Modelle können erfolgreich sein – aber beide Modelle handeln den Produktpreis (hoffentlich) identisch an den Börsen. Das Drumherum unterscheidet sich aber. Und genau so wird es dem Handel – insbesondere dem NonFood-Handel ergehen.

Der eine Handelspol wird den «no thrill»-Weg einschlagen: Tiefpreisleader ohne schnick-schnack, jeder zusätzliche Handgriff und Service kostet extra. Auf der anderen Seite des Spektrums gibt es den Verwöhn-Händler, der dann mit einer Service-Pauschale jede erdenkliche Zusatzleistung erbringt, mir auch mal ein Produkt zur Probe überlässt, aber ganz sicher immer einen Ersatz für mich bereithält, wenn etwas defekt oder verloren gegangen ist. Die Differenzierung erfolgt über den Service, Verfügbarkeit, Liefergeschwindigkeit und Verwöhnfaktor. Jeder Konsument findet einen Platz und auch für den Handel gibt es «Positionierungsraum».  Aber der reine Produktepreis für das vergleichbare Produkt, der gleicht sich zwangsläufig an, wir werden von einer «Servicepreisdifferenz» sprechen müssen.

Sind wir denn Gegner des Geoblocking-Verbots oder der FairPreisinitiative?

Ja und nein! Ja, wir sind Gegner dieser Initiativen, weil sie auf einer idealen Welt aufbauen – alle Anbieter haben die gleichen Rahmenbedingungen – welche derzeit aber nicht existiert. Diese ideale Welt existiert weder innerhalb der EU, noch innerhalb eines Landes. Beide Initiativen gaukeln dem Konsumenten etwas vor, ohne dass man ihm die ganze Wahrheit zumutet.

Nur weil Internet drauf steht, kann nicht einfach alles überall zum gleichen Preis gekauft werden. Wenn dann noch gesetzliche Handelshemmnisse (Deklarations- und Bewilligungsvorschriften, Zölle, Freigrenzen, Sprachhürden) ungleiche Spiesse in den verschiedenen Märkten produzieren, muss man auch mal nachvollziehen können, dass der eine oder andere Händler an solchen Gesetzen gar keine Freude hat. Somit «Ja», wir sind Gegner solcher ideellen Schnellschüsse, denn sie sind eindimensional aufgesetzt.

Um dann gleich wieder zu sagen «Nein», wir sind eigentlich keine Gegner, denn gerade unsere Branche setzt den Kessel mit der Aufschrift «Preisdifferenz» aber auch sich selber unter Druck. Man setzt sich der Transparenz aus, man teilt heute zwangsläufig Daten mit allen möglichen und unmöglichen Datenkraken, nur um morgen festzustellen, dass schon wieder einer den vermeintlich besten Preis unterboten hat. Wir treiben den Prozess selber voran.

Und genau deshalb braucht es kein Gesetz. Es braucht Deregulierung bzw. gegenseitigen freien Marktzugang im Handel, wenn man in Sachen Preisdifferenz wirklich nochmals vorwärts kommen möchte und auch den Schweizer Händlern eine Chance einräumen will. Einseitige Regulation produziert das Gegenteil.

Sind solche Initiativen wirklich konsequent und zu Ende gedacht?

Eine Forderung nach einem Geoblockingverbot in der Schweiz (immer im Sinne von «Lieferzwang») muss einer Forderung nach freiem Warenverkehr gleichgesetzt werden – ohne Einschränkung! Denn nur der freie Warenverkehr für Import und Export bietet die Grundlage, dass alle und jeder innerhalb eines Wirtschaftsraums dieselbe Ausgangslage haben, einen Preis «neutral» festzusetzen. Jegliche gesetzgeberische Einschränkung ist für den hiesigen Händler preisbeeinflussend. Mit dem gut gemeinten Geoblocking «befreit» man den Konsumenten – nicht aber den (Schweizer) Händler. Deshalb solle man sich seitens der Fordernden die Frage stellen: Wollen wir den freien Warenverkehr mit allem Drum und Dran? Seien Sie ehrlich (… und vergessen Sie nicht die Landwirtschaft…)

Und wenn wir mal noch um die Ecke denken?

Wenn wir all diese Argumente und natürlichen Entwicklungen zusammenführen, dann wird leider noch etwas anderes passieren (mit und ohne neue Gesetze): Die Löhne im «klassischen» Handel werden unter Druck geraten oder aber Arbeitsplätze werden «robotorisiert» oder wandern dorthin wo die tiefsten Preise sind. Denn auch beim Salär gilt:  Löhne sind Abbilder von Preisen. Was es leider noch nirgends auf der Welt gibt: Hohe Löhne und tiefe Preise. Die Arbitrage ist da unerbittlich und das Wasser sucht sich seinen Weg. In alle Richtungen…

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